Mustertheorie – die Website zum Buch
Leseprobe 3
 
aus dem Buch „Mustertheorie”


Die fünfzehn Lebenseigenschaften

Zentren, Ganzheiten und Grenzen kommen überall in der natürlichen Welt vor, weil eine räumliche Differenzierung allgegenwärtig ist. Verschiedene räumliche Zonen unterstützen verschiedene Arten von Leben. Die Stärke eines Zentrums ist, so Alexander, ein Maß für seine organisatorische Qualität und seinen Beitrag zur Lebendigkeit. Deswegen betont er, dass im kreativen Gestaltungsprozess die Zentren immer mit großer Sorgfalt geschaffen werden müssen.

Alexander hat im Laufe der Zeit Tausende Systeme der Natur, der Kunst und Architektur untersucht. Dabei war er bestrebt, den wahrgenommenen Lebendigkeitsgrad – davon wird im nächsten Abschnitt die Rede sein – auf einfachere Merkmale zurückzuführen. Er identifizierte dabei fünfzehn Eigenschaften, die sich in lebendigen Dingen immer wieder finden. Alexander zeigt auch, dass diese Lebenseigenschaften in der gesamten natürlichen Welt auftreten.

Durch diese fünfzehn Eigenschaften gewinnt man ein Verständnis für den physikalischen und geometrischen Charakter, den lebendige Systeme haben. Diese Eigenschaften treten auf, weil es bestimmte grundsätzliche Möglichkeiten gibt, wie Zentren durch andere Zentren gestärkt werden. Zentren entstehen und verändern sich in Verbindung mit den fünfzehn Lebenseigenschaften. Durch die damit verbundenen Begriffsbildungen erhöhen sich die Möglichkeiten, Beobachtungen zu machen und Erfahrungen zu gewinnen und auszutauschen.

Alexander zeigt, dass die ganzheitliche Struktur der Zentren keine gedankliche Konstruktion ist, sondern dass sie objektiv mit dem funktionellen und praktischen Verhalten der natürlichen Welt verbunden ist. Zum Beispiel sind bei einem Blatt die härteren Rippen und die Weichteile keine Frage menschlicher Interpretation. Die Rippen sorgen für die physikalische Stabilität des Blattes, während in den Weichteilen vorwiegend die chemischen Prozesse der Fotosynthese, der Energiegewinnung und des Substanzaufbaus stattfinden.

Für die allgemeine Verwendung bedürfen die Lebenseigenschaften einer verallgemeinernden Abstraktion. Wenn wir etwa von der Eigenschaft Grenze sprechen, so hat Alexander die Grenzen natürlicher Dinge im Blickpunkt, wie die Zellwand einer Zelle und die Böschung eines Flusses, oder architektonische Grenzen wie die Außenwand eines Hauses oder die Grenze zwischen Fußgängerzone und Fahrbahnen. Es sollte aber klar sein, dass es nur konsequent ist, mit der gleichen Sichtweise auch die unsichtbaren geometrischen Grenzen von Staaten zu betrachten, oder die ideellen Grenzen von sozialen Gruppen.

Eigenschaft 1: Größenstufen

Alexander beobachtet und dokumentiert, dass Zentren häufig in abgestuften Größenklassen auftreten. Betrachten wir etwa einen Baum, so finden wir mit dem Stamm, den Ästen und Zweigen z. B. große, mittelgroße und kleine Teilstrukturen und – je nach Baumart – bestimmte Größenverhältnisse. Man könnte sie auch als Proportionen bezeichnen, aber künstlerische Proportionsbegriffe, etwa z. B. der goldene Schnitt, decken sich damit nicht. Größenverhältnisse von 1:2 bis 1:4 bewähren sich gemäß Alexander offenbar sehr gut, seltener findet man Verhältnisse bis 1:10, noch seltener Verhältnisse bis 1:20. Es gibt keine Theorie, die das Auftreten solcher Größenabstufungen erklärt. Aber – erklärbar oder nicht – wir haben es mit einer Eigenschaft zu tun, die die ganze Natur durchdringt.

Wenn wir es abstrakter als Alexander betrachten: In Zellen finden wir abgestuft Zellwand, Organellen, Zellkern, Chromosomen. In Organisationen gibt es meist abgestufte Gehälter oder Raumausstattungen. Ein Buch – wie dieses – gliedert sich oft in größenmäßig abgestufte Kapitel und Absätze.

Eigenschaft 2: Starke Zentren

Gemäß Alexander treten starke Zentren vorwiegend in solchen Ganzheiten auf, die selbst auch starke Zentren sind. Oft ist diese Eigenschaft verbunden mit lokaler Symmetrie. Oft haben starke Zentren eine stärker ausgeprägte innere Struktur als die Zentren ihrer Umgebung. Viele natürliche Systeme habe Zentren, die mit wichtigen Prozessen verbunden sind. Man denke etwa an den Zellkern in einer Zelle, in dem ständig genetische Informationen ausgelesen und zur Produktion von Proteinen verwendet werden. Obwohl wir physikalische symmetrische Kräfte verständen – wie z. B. die kugelsymmetrische Schwerkraft – und es ähnliche chemische Konzentrationsverteilungen gebe, fänden wir, schreibt Alexander, für das Auftreten solcher starker Zentren keine allgemeine naturwissenschaftliche Erklärung.

Abstrakt betrachtet: Eine biologische Zelle hat einen Zellkern. Eine Firma oder Organisation hat einen Vorstand. Eine Schulklasse funktioniert mit einem Lehrer als Zentrum. Eine Sportmannschaft braucht einen Kapitän. Jeder Planet kreist um eine verhältnismäßig große Sonne. Kinofilme werden häufig rund um einen berühmten Filmstar als Attraktion gedreht. Die meisten Geschichten haben eine Hauptperson als Zentrum der Handlung.

Eigenschaft 3: Grenzen

Viele Zentren haben ausgeprägte Grenzen. Nach Alexander hat eine Grenze vor allem zwei Funktionen: Einerseits verstärkt sie die innerhalb liegende Ganzheit, und andererseits verbindet sie das Innere mit der Umgebung. Im Allgemeinen haben Grenzen eine beträchtliche Ausdehnung, zumindest in der Größenordnung des Zentrums. Besonders breite Grenzen treten dann auf, wenn zwei sehr unterschiedliche Phänomene miteinander in Beziehung treten. Eine effiziente Grenzzone entlang eines Flusses kann etwa das Flussufer, eine Mauer, einen Fußweg, Bäume und eine Straße umfassen und erstaunlich breit sein. Die Zone der Wechselwirkung ist laut Alexander fast so wichtig wie die beiden Bereiche, welche die Grenze trennt. Man denke an die Zellwand einer organischen Zelle, die alle Substanzen reguliert, die in die Zelle hinein und aus ihr heraus transportiert werden. Man denke an die Elektronenhüllen der Atome, die alle chemischen Bindungen und chemischen Eigenschaften begründen. Grenzen sind ein allgemeines Phänomen in der Natur, aber es gibt keine allgemeine Erklärung für ihre Existenz.

Allgemeiner betrachtet: Staaten bewachen oder schützen ihre Grenzen. Organisationen ziehen Zugehörigkeitsgrenzen um ihre Mitglieder oder Arbeitnehmer. Eltern bestimmen Grenzen für das akzeptable Verhalten ihrer Kinder. Veranstaltungsorte wie Kinos oder Sportstadien haben Zutrittgrenzen. Bereiche wie Kunst oder Wissenschaft definieren methodische Grenzen.

... der Abschnitt gibt Beschreibungen für weitere 12 Eigenschaften


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© Helmut Leitner zuletzt geändert: August 17, 2016