Mustertheorie – die Website zum Buch
Leseprobe 5
 
aus dem Buch „Mustertheorie”


Biokybernetik und Frederic Vester

Schon lange wurde gefordert, das vereinfachende lineare Denken, das im menschlichen und gesellschaftliche Alltag vorherrscht, durch ein systemisches, vernetztes Denken zu ersetzen. Es gibt eine lange Kette prominenter Vertreter dieser Richtung beginnend mit Ludwig von Bertalanffy, dem Begründer der Kybernetik, bis zu dem besonders im deutschen Sprachraum bekannten Frederic Vester (1925-2003), der durch Bücher wie Das kybernetische Zeitalter (1974), Neuland des Denkens (1984) und zuletzt Die Kunst vernetzt zu denken (1999, Bericht an den Club of Rome) über Jahrzehnte hinweg für ein ganzheitliches Denken eingetreten ist.

Wenn wir uns an Frederic Vester orientieren, so fällt auf, dass er sich – wie Alexander – die Natur als Lehrmeister nimmt. Bei Vester liegt der Schwerpunkt lediglich mehr auf dem Aspekt, der Natur ihre technischen Erfindungen – etwa wie die besondere Stabilität von Röhrenstrukturen, die überragende Festigkeit von Spinnenfäden oder die Effizienz von Regelungsmechanismen – abzulauschen, während Alexander sich mehr auf die Ähnlichkeiten von natürlichen und künstlichen Strukturen und Entwicklungsprozessen konzentriert.

Beide sehen in der Natur die Einfachheit der Lösungen, die Fähigkeit zur Effizienz und hervorragende Wiederverwertung von Abfallprodukten als Ressourcen. Es gibt hier also einen hohen inneren Übereinstimmungsgrad.

Der Hauptunterschied liegt darin, dass die Kybernetiker sich vorwiegend auf bestimmte Systemklassen und Systemfunktionen beschränken. Sie sind einerseits sehr auf die Regelung und Selbststeuerung von Systemen konzentriert. Andererseits betrachten sie vorzugsweise Systeme, die zwar vernetzt und in ihrem Zustand veränderlich sind, die aber in ihrer Struktur statisch sind, deren Komponenten sich also nicht verändern. Alexander betrachtet dagegen die Systeme allgemeiner, vor allem in ihrer Entfaltung, das heißt im Verlauf des Aufbaus und der Änderung der Struktur.

Die Übereinstimmung der Prinzipien bei gleichzeitig verschiedenen Schwerpunktsetzungen lässt bei einer Zusammenführung dieser Forschungsrichtungen Fortschritte auf beiden Seiten erwarten. Die Kybernetiker könnten ihr Wissen über Regelung und Simulation mit den Vorstellungen Alexanders über Strukturen und Prozesse verbinden. Im günstigsten Fall kann sich sogar eine Verschmelzung dieser Denkrichtungen ergeben.


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© Helmut Leitner zuletzt geändert: August 17, 2016